Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  
Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 189 mal aufgerufen
 Starlight Express
SteffiM Offline




Beiträge: 3.684

16.12.2003 19:34
"A Heart of Gold" (Teil3) Thread geschlossen

Kapitel VII
„Nur für mich“

Der Tag kam, an dem Caboose’s seinen perfekten Moment erhalten sollte. Es war ein Tag wie jeder andere und keiner hätte auch nur geahnt, was geschehen würde. Wie die meisten schicksalhaften Tage, war auch dieser Tag zu Beginn nichts Besonderes. Alles war wie immer. Am Morgen wurde Stardust’s Motor generalüberholt, wie jeden Monat. Schließlich will so eine Pracht-Lok regelmäßig gewartet werden, um der Star bleiben zu können. Mehrere Arbeiter verbrachten mehrere Stunden in der Werkstatt, um die Lok komplett zu bearbeiten und jeden noch so kleinen Mangel auszumerzen. Nicht auszudenken, was für ein Drama es gewesen wäre, wäre auch nur eine Kleinigkeit während der Wartung oder im Nachhinein schiefgegangen wäre. Nur die Besten und Erfahrendsten durften daran arbeiten. Schweißgebadet und völlig übermüdet traten die Mechaniker schließlich vor die Werkstatt und wurden in die wohlverdiente Pause entlassen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wurden die Funktionen der Lok in einer Einzelfahrt geprüft, um bei eventuellen Fehlern ein Desaster mit einem gesamten Personenzug zu vermeiden. Doch ganz allein und ungesichert konnte man die wichtigste Lok des Bahnhofes natürlich nicht fahren lassen. Caboose sollte als begleitender Anhang mitfahren und für die sicheren Bremsungen sorgen. Ein Fehler, wie sich allerdings erst viel zu spät herausstellen sollte.
Stardust blickte den Bremswagen nicht einmal an, als dieser an ihn gekuppelt wurde. Er dachte mal wieder nur an sich. Caboose hätte auf der Stelle auf ihn losgehen und ihm das arrogante Gesicht verbeulen können. Doch er behielt sich seinen Plan im Hinterkopf und tat, als hätte er das Gespräch mit der Lok nach Cassey’s Tod schon längst vergessen. Doch innerlich brodelte es in ihm. All seine Wut und sein Hass schien stärker zu werden, je näher er Stardust kam und im Moment konnte er ihm kaum noch näher sein. Nach außen hin gab er sich freundlich wie immer. Bereitwillig folgte er der Lok, als diese sich in Bewegung setzte. Zuerst etwas langsam, doch dieses Tempo war nur eine testende Anfangsphase und für Stardust absolut nicht sein Niveau. Schon bald hatte er wieder sein rasantes Standardtempo erreicht und brauste mit Caboose in der näheren Umgebung des Bahnhofes umher. Gewagt legte er sich in die Kurven und Caboose hatte alle Räder voll zu tun, um ihn in den Schienen zu halten. Caboose wusste, dass Stardust absichtlich so waghalsig fuhr, um es für den jungen Bremswagen so anstrengend wie nur möglich zu machen. Tatsächlich hatte Caboose auch enorme Schwierigkeiten, während der Fahrt die Kontrolle über sein Gleichgewicht zu behalten und gleichzeitig auch seine Arbeit richtig zu machen. Mit einem herblassenden, hämischen Grinsen wandte Stardust sich zu ihm um.
„Na, jetzt hast du wohl nicht mehr so eine große Klappe, Bremsklotz!“
Caboose gab darauf keine Antwort. Doch er konnte sehen, was Stardust nicht bemerkte. Durch die kurzzeitige Unaufmerksamkeit der Lok, waren sie auf ein falsches Gleis geraten. Wegen Bauarbeiten sollte niemand dieses Gleis befahren. Einige hundert Meter entfernt endeten die Gleise im Nichts und vor ihnen erstreckte sich eine tiefe Baugrube, in der dicke, harte Rohre frei lagen. Stardust wandte sich wieder nach vorne und entdeckte nun ebenfalls, auf was für eine Gefahr er zuraste. Immer näher kam das Ende der Strecke. Schneller und immer schneller kam der verhängnisvolle Graben auf sie zu. Stardust wurde nervös.
„Caboose?!“
Wieder wandte er sich zu dem Bremswagen um. Caboose starrte ihn nur dämonisch grinsend an. Die Lok bekam es bei diesem Anblick mit er Angst zu tun. Der Kerl war wahnsinnig, er würde ihn umbringen.
„Caboose, du verdammter Idiot, brems endlich!!!“ schrie er ihn an.
Doch Caboose tat nichts. Nur noch etwa 80 Meter trennten sie von einem schmerzhaften Sturz. 50 Meter. 30 – 20 – 10! Plötzlich kuppelte sich Caboose ab und nun endlich bremste er. Rechtzeitig kam er am Rande der Grube zum Stehen, doch Stardust konnte nichts mehr unternehmen. Mit voller Geschwindigkeit stürzte er kopfüber in den Graben. Sein Körper schlug mit lautem Krachen und Scheppern gegen die freiliegenden Rohre, die quietschend an seinem Lack entlangschrammten. Oben auf den Gleisen hörte Caboose das Knacken und Brechen von Stahl und Metall und er grinste erneut dämonisch. Sein Plan war aufgegangen. Als der Lärm nachließ blickte er vorsichtig über den Rand hinab. Stardust lag stöhnend am Boden der Grube. Seine Gliedmaßen waren verbogen und sein Lack war verkratzt, verbeult und teilweise aufgerissen. Caboose kniete nieder und seine Stimme hallte in der Grube laut wieder.
„Wenn du das nächste Mal einen Frachtwagen als minderwertig bezeichnest, vergiss niemals, dass auch du von ihnen abhängig bist!“ rief er.
Dann begann er zu lachen. Doch auch dieses Lachen war unheimlich, dämonisch und dunkel. Seine Atmung wurde hektisch und ein wütendes Zittern ging durch seinen gesamten Körper, als er die verletzte Lok weiter wie besessen anstarrte.
„Der große Zug, der starke Zug. Kannst doch nie ein Zug sein! Kannst kein Zug sein! Drei vier, nicht mit mir! Kannst kein Zug sein! Sechs sieben, du bleibst liegen! Kannst kein Zug sein!“
Wieder lachte er laut und bedrohlich auf und stürmte davon. Stardust blieb bewusstlos zurück.
Sofort wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, als der Bremswaggon allein zum Bahnhof zurückkam. Caboose wurde zum Abstellgleis zurückgebracht. Wheeler kam besorgt auf ihn zu.
„Caboose, was ist passiert? Wo ist Stardust geblieben?“
Caboose wandte sich zu ihm um. Wheeler erschrak. Da war wieder dieses Grinsen und dieser wahnsinnige Blick in Caboose’s Augen, wie damals nach dem Gespräch mit Stardust.
„Stardust hatte ein kleines Problem an einer Baustelle,“ antwortete er zischend.
Der Bremswagen fuhr an Wheeler vorbei. Dieser blickte ihm verwundert nach. Caboose’s Verhalten machte ihm Sorgen und Angst. Was war nur mit ihm geschehen? Wheeler fand einfach keine Antwort darauf, so sehr er auch nachdachte. ... Doch... Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. Was hatte Caboose damals nach dem Gespräch mit Stardust gesagt? ‚Und schon bald wird alles noch besser!’ Dieser Satz klang damals schon so verheißungsvoll. ‚Stardust hatte ein kleines Problem an einer Baustelle.“ Wheeler’s Blick wurde immer besorgter. Er würde doch nicht....? In diesem Moment kamen die Arbeiter von ihrer Suche nach der verschwundenen Lok zurück. Völlig panisch rannten sie umher und bereiteten einen Transport vor. Slike und zwei der Alis wurden in Höchsttempo zur Abfahrt bereit gemacht und setzten sich eilig in Bewegung. Wheeler sah ihnen mit furchtbaren Vorahnungen nach. Tief in seinem Inneren hoffte er, dass sich diese Vorahnungen als unbegründet herausstellen würden, doch schon nach einigen Minuten kehrte der ausgeschickte Zug wieder zurück. Die Alis trugen Stardust’s geschundenen Körper auf den Schultern und brachten ihn zur Werkstatt. Neugierig und bekümmert standen sämtliche Anhänger und Loks um die Werkstatt herum und versuchten einen Blick hinein zu erhaschen. Nur Caboose blieb unberührt auf seinem Platz. Die Gruppe zurücklassend trat der Fahrradwagen an Caboose heran.
„Caboose, sag mir, dass du das nicht getan hast.“
Der Bremswagen wandte den Blick langsam zu ihm und starrte ihn stumm an.
„Sag jetzt nichts Caboose. Ich weiß, dass du es getan hast.“
Stonehenge rollte langsam auf ihn zu.
„Du hast ihn in den Graben stürzen lassen.“
Caboose sagte nichts, er blickte ihm einfach nur fest in die Augen.
“Wie konntest du nur Caboose. Du hast deine Stellung als Bremswagen schamlos ausgenutzt, um einem anderen zu schaden.“
„Er hat es verdient!“ knurrte er, „So etwas wie er hat es nicht verdient, die treibende Kraft eines Zuges zu sein!“
„Du hattest trotzdem kein Recht dazu, so etwas zu tun! Was hat es dir denn gebracht?“ er blickte Caboose zornig an, „Cassey hat das jedenfalls nicht zurückgebracht.“
Dem jungen Bremswaggon entfuhr ein schmerzvoller, wütender Schrei und seiner Finger krallten sich verzweifelt in seine Haare.
„Sei still!“ schrie er Stonehenge an, „Nichts kann sie zurückbringen! Nichts! Aber ihre Ehre ist gerächt! Der Kerl musste es büßen, was er ihr angetan hat!“
Von dem lauten Streit angelockt versammelten sich immer mehr Schaulustige um die beiden Frachtwaggons. Entsetzt lauschten sie Caboose’s Worten und erfuhren so, wer für den schweren Unfall des Bahnhofstars verantwortlich war. Caboose kümmerte das nicht. Sollten sie doch alle wissen, was er getan hatte. Er hatte es gerne getan und würde es wieder tun, sollte Stardust keine Lehre daraus gezogen haben.
„Was soll das Caboose? Wir sind seine Gemeinschaft, wir fahren miteinander, nicht gegeneinander!“
„Ach was! Das bringt doch nichts! Ich sehe es doch an den großen, starken Loks! Wenn ich weiterkommen will darf ich nur für einen fahren.... für mich!“
‚Für mich!’ betonte er besonders laut und fauchend. Was hatte er denn je davon gehabt, dass er allen Gutes wollte? Was hatte Cassey davon gehabt? Stardust war ein Egozentriker sondergleichen und ihn liebten sie alle! Irgendetwas lief doch verkehrt in dieser verfluchten Welt!
„Ich erkenne dich nicht mehr, Caboose,“ meinte Stonehenge enttäuscht und fuhr davon.
Auch die anderen entfernten sich langsam und Caboose bliebt allein auf dem Abstellgleis zurück.


Kapitel VIII
„The storm is over“

Viele Tage verbrachten die Arbeiter bis in die Nacht hinein ihre Zeit damit, in der Werkstatt den schweren Schaden an Stardust zu beheben. Bis nach draußen drangen die harten Hammerschläge, das Surren der Schraubmaschinen und Bohrer und das unangenehme, schrille Schreien der Schleifmaschine. Durch die Fenster sah man das helle Leuchten und sprühenden Funken der Schweißapparate. Alle Energie wurde in die Regenerierung der Lok gesteckt und dennoch war er nicht mehr der selbe strahlende Anblick, als er die Werkstatt nach einer knappen Woche wieder verließ. Sein silbernglänzender Lack war stellenweise noch etwas stumpf und manche der Risse konnten von den Schweißgeräten nicht spurlos entfernt werden. So zog sich über sein früher so makelloses Gesicht eine lange Narbe von der rechten Braue über das Nasenbein hinunter zum linken Mundwinkel. Die eleganten silbernen Haare waren ungleich lang, da sie stellenweise aus- oder abgerissen waren und eine der Achsen war noch nicht hundertprozentig belastbar, sodass er nur ungleichmäßig vorwärts rollte. Der große, bewunderte Stolz des Bahnhofs war nur noch ein Schatten seiner selbst. Vielleicht würde er wieder wie früher werden, doch sicher nicht so bald. Für eine lange Zeit würde der Glanz und die Pracht seiner früheren Erscheinung verblasst bleiben. Auch sein Stolz hatte seinen Teil abbekommen. Zwar war er angestrengt darauf bedacht, seine Würde zu bewahren, doch sein entstelltes Aussehen und die Tatsache, dass jeder es sehen konnte nagten an seinem Selbstbewusstsein. Niemand wagte es, den Unfall oder seine verbleibenden Spuren ihm gegenüber anzusprechen, doch ihre Blicke verrieten immer wieder Entsetzen darüber, wie stark ihn der Unfall gezeichnet hatte und das erinnerte Stardust immer wieder an seine schmerzhafte Unvollkommenheit. Caboose’s Plan war aufgegangen. Er hatte die Lok da getroffen, wo es ihr am meisten weh tat; an seiner Eitelkeit.
Doch der Plan hatte sowohl positive als auch negative Erfolge. Zwar hatte er im Bezug auf Stardust das erreicht, was er bezwecken sollte, doch was Caboose anging, tauchte schon bald ein bitterer Nachgeschmack auf. Die anderen Wagen und Loks mieden ihn. Die hinterhältige Art mit der Caboose Stardust hatte stürzen lassen, wurde von den anderen verachtend aufgenommen und sie straften den Bremswagen dafür mit Ignoranz. Doch Caboose war trotz allem fest von der Richtigkeit seine Handlung überzeugt. Die anderen waren für ihn nichts als Feiglinge. Sie wagten es nicht, sich gegen Stardust zu stellen, nicht einmal wenn es um den Tod einer Freundin ging. Und doch fühlte er sich einsam. Aber dachte er an Cassey’s grauenvolles Ende zurück, so wurde die Trauer stärker, als die Einsamkeit und es war ihm wieder vollkommen gleichgültig, dass keiner ihn auch mehr ansehen wollte.
Wenn die Einsamkeit und die dadurch verbundene Langeweile am meisten übermannte, fuhr er zu der Stelle, an der sein Ein und Alles damals von ihm gegangen war, setzte sich dort an den Rand der Gleise und sprach mit ihr. Er war sich sicher, sie verstieß und verachtete ihn nicht. Denn schließlich hatte er diese Außenseiterrolle ihr zuliebe riskiert. Bis spät in die Nacht hinein redet er zum Himmel hinauf, dann fuhr er zurück und schlief am Rande des Abstellgleises, fernab der anderen ein. Was kümmerten ihn die anderen. Er hatte noch Cassey, jawohl und sie war für ihn da, jeden Tag. Jedenfalls redete er sich das ein. Es hielt ihn aufrecht, doch es tat seinem Gemüt nicht unbedingt gut. Er war wie besessen von dem Gedanken, das Richtige getan zu haben und von seinem Hass gegenüber Loks, der sich aus der ganzen Geschichte heraus immer mehr entwickelte. Auch seinen früheren Freunden gegenüber fand er keinen freundlichen Gedanken mehr. Sie ließen sich doch allesamt von Stardust’s Ruhm blenden und zeigten für seinen Schmerz keinerlei Verständnis. Wem konnte er denn in dieser Welt noch trauen? Nur sich selbst, das stand fest. Er würde sich schon durchs Leben kämpfen. Nur für sich würde er kämpfen, so wie es auch der hochgelobte Stardust tat. Die größten Loks dieser Welt würden schon sehen, was sie von ihrem Stolz auf ihre eigenständige Fahrtmöglichkeit hatten. Die unbedeutenden Waggons unterdrückten sie und machten sie von sich abhängig, aber vergaßen dabei, dass auch sie ohne manche Waggons einfach nicht auf ihrer Lebenstrecke vorwärts kommen würden. Doch Caboose würde sich diesen großkotzigen Eisenkästen nicht mehr unterordnen. Wann immer ein wehrloser Wagen von einer Lok entwürdigt wurde, würde er reagieren und der Lok das Leben schwer machen. Das schwor er sich. Nie wieder sollte ein Wagen so wie Cassey enden. Nicht, wenn er es verhindern konnte.


Kapitel IX
„Zeit zu gehen“

Doch, dass man ihn nicht nur verachtete, sondern durch sein eigenartiges Verhalten auch fürchtete, sollte Caboose bald bemerken und es würde seinem Leben eine neue Richtung geben.
Eines Morgens wurde ein Zug zur Abfahrt bereit gestellt. Slike sollte ihn anführen, da Stardust noch immer nicht ganz vollständig einsatzfähig war. Wheeler und einige Personenwagen waren bereits angekuppelt und nun wurde auch Caboose dem Zug als Endwagen beigefügt. Der Ablauf war der gleiche wie vor jeder Fahrt. Doch als der Pfiff zur Abfahrt schrill ertönte tat sich nichts. Slike’s Motor bliebt still und er setzte sich nicht einen Millimeter in Bewegung. Die Arbeiter untersuchten ihn sofort auf mögliche Betriebsfehler, fanden jedoch nichts. Slike war vollkommen in Ordnung, doch er fuhr nicht an.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Last für ihn zu groß ist, aber wir überprüfen es einmal,“ rief einer der Männer.
So begannen sie, alle angekuppelten Wagen wieder abzuhängen. Sofort fuhr Slike ohne den kleinsten Widerstand los, als er den Befehl dazu erhielt.
„Ich versteh das nicht,“ einer der Männer kratzte sich ratlos am Hinterkopf.
„Vielleicht klappt es, wenn wir ihm vorher einen kleinen Warmlauf geben. Womöglich hat er zu lange still gestanden.“
„Aber er hat doch erst gestern... ach was soll’s probieren wir es. Kuppelt den Roten an.“
Also wurde Caboose wieder herangeholt und an Slike angekuppelt. Doch keine Sekunde, nachdem er angehängt worden war, löste Slike die Verkuppelung wieder. Zuerst dachten die Arbeiter, sie hätten vielleicht die Verbindung nicht richtig durchgeführt, aber auch beim nächsten Versuch ließ die Diesellok es nicht zu, dass der Bremswagen an ihm angekuppelt wurde. Noch weitere drei Male probierten die Männer ihr Glück, doch erfolglos. Slike weigerte sich weiter standhaft, die Kuppelung hinzunehmen. Die Arbeiter standen vor einem Rätsel und auch Caboose stand da und blickte verwirrt zu der Lok nach vorne. Slike wandte sich um. Kalt sah er den jungen Bremswagen an.
“Eher fahre ich nie wieder, als auch nur einen Meter mit einem Wahnsinnigen wie dir. Du bringst es fertig und stürzt auch jeden anderen von uns ins Verderben.“
Caboose konnte dazu nichts sagen. Slike hatte wirklich Angst davor, mit ihm zu fahren. Endlich sah man ihn nicht nur als bremsendes Hilfsmittel an, sondern als einen Wagen, der einem nicht gleichgültig sein durfte. Sie hatten Angst vor ihm. Sie hatten Respekt vor ihm. Caboose grinste siegessicher und es störte ihn mit einem Mal kein bisschen mehr, dass Slike ihm die Mitfahrt verweigerte. Allerdings war Slike da nicht der einzige. Keine Lok des Bahnhofes wollte Caboose mehr hinter sich wissen und verweigerten die Abfahrt, sobald der rote Bremswagen angekuppelt war. Alle möglichen Überprüfungen der schlausten Menschen brachten keine Antwort auf dieses seltsame Phänomen. Somit zog ich eine problematische Frage heran: Was soll man mit einem Bremswagen, der auf keine Fahrt mitgenommen werden kann? Schließlich kostete der Wagen und seine Wartung auch Geld, für das er nicht arbeitete. So war die Lösung klar. Caboose war nicht mehr auf diesem Bahnhof zu gebrauchen und musste weg. Sie würden ihn an einen anderen Bahnhof weiterverkaufen. Sollten die sich doch mit dem Roten und seinen Macken herumplagen. Er war ihnen ein Rätsel, dass sie niemals würden lösen können. Wie die Menschen es so oft handhabten: Wenn sie etwas nicht verstanden, schafften sie es aus dem Weg. Und so wurde auch Caboose beiseite geschafft.


Kapitel X
„Eine zweite Chance“

Laut zischend entwich der Rauch, als die Dampflok anfuhr.
„In Ordnung Sam! Fahr zu!“ rief die kratzige Männerstimme.
Caboose öffnete die Augen. Ein Bahnhof. Aber nicht irgend ein Bahnhof. Dies war sein Zuhause gewesen. Frisch aus der Werkstatt, erst vor wenigen Tagen fertiggestellt, war der junge, rote Bremswaggon hier zum ersten Mal auf den Gleisen gestanden. Die fremde Dampflok, die ihn von hier wegbrachte, setzte sich schnaufend in Bewegung. Auf den Abstellgleisen neben den normalen Strecken, standen die Güter- und Frachtwaggons und beobachteten mit gemischten Gefühlen die Abfahrt des verlorenen Freundes. Die Dampflok fuhr langsam an und als sie einige Meter vom Bahnhof entfernt waren, wurde ihr Tempo schneller. Und der junge Bremswaggon blickte dem Bahnhof nach, bis er als kleiner bedeutungsloser Punkt am Horizont verschwand. Dort hatte sein eigenständiges Leben begonnen, als Teil der Zuggemeinde...

~*~

Sein neuer Bahnhof glich dem alten kaum. Das machte es ihm allerdings einfacher, neu zu beginnen. Nichts hier erinnerte ihn an seine voriges Leben und so würde er die Alpträume der Vergangenheit vielleicht bald vergessen können.
Die alte Dampflok, die ihn hierher gebracht hatte nahm ihn sogleich unter ihre Fittiche.
„Komm, ich bringe dich zu deinen Frachtzugkumpanen... ähm..“
„Red Caboose.“
„In Ordnung Caboose.“
Caboose folgte der Dampflok über den unbekannten Bahnhof, über dem die Sterne klarer funkelten als er es je zuvor an einem anderen Ort gesehen hatte. Eine riesige Brücke schwebte erhaben über den Gleisen und strahlende Lichter erhellten die Gleise.
„Wie ist dein Name?“
Die alte Dampflok schmunzelte väterlich.
„Nenn mich Papa, mein Kind. Das tun alle hier.“
Caboose nickte und folgte ihm weiter.
Die übrigen Frachtwaggons begrüßten den Neuzugang. Ein Steinwagen, ein Kohletender und drei bunte, rauflustige Kastenwägen. Das kam Caboose mehr als vertraut vor, aber er versuchte, den Gedanken sogleich wieder zu verdrängen und sein neues Leben unbeeinflusst zu beginnen.
In den nächsten Tagen lernte Caboose auch Papa’s Schützling, die Dampflok Rusty und die Personenwägen Pearl, Dinah, Ashley und Buffy kennen. Auch wenn die Mädchen die Frachtwaggons nicht ganz für voll nahmen, so waren sie dennoch äußerst nett und freundlich. Besonders Dinah’s gutes Wesen fiel Caboose auf. Sie war sehr anhänglich, witzig und immer voran um das Wohl andere besorgt; eine engelhafte Seele. Liiert war sie mit dem Champion des Bahnhofes, der amerikanischen Union Pacific Diesellok Greaseball. Kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse, wie Caboose nach seinem ersten Treffen mit ihm feststellten musste. Greaseball war ein überheblicher, oberflächlicher Angeber. Doch die Waggons liebten ihn und Dinah’s Herz hing sehr an der großen prachtvollen Lok. Auch wenn nur schwer nachzuvollziehen, was an diesem aufgeblasenen Kerl, ein gutes Herz wie das von Dinah höher schlagen ließ. Bei diesem Gedanken fasste sich Caboose wie unter starken Kopfschmerzen an die Stirn. Es wiederholte sich alles auf einmal und das durfte es nicht. Niemals. Er konnte Greaseball nicht wirklich leiden, aber lernte, mit ihm und auch mit allen anderen Bahnhofmitgliedern zu leben. Die Vergangenheit ruhte stumm in seinem Inneren, nur die Trauer über das schmerzhafte Loch, dass Cassey’s Tod in sein Leben gerissen hatte, verging nie und das wollte er auch nicht, denn das hieß, dass er sie vergessen würde. Sich trauernd zu erinnern ist leicht, aber zu merken, dass man vergisst, dass jemand nicht mehr da ist, schmerzt noch viel mehr.


Epilog
„So wie es früher war“

Jahrelang ging das Zusammenleben des Starlight Bahnhofes gut. Bis zu der Nacht des großen internationalen Rennens. Züge aus aller Herrenländer kamen zum Bahnhof, um daran teilzunehmen. Greaseball hatte dieses Rennen in den letzten Jahren immer für sich entschieden und war fest davon überzeugt, auch in diesem Jahr seinen Titel als amtierender Champion und schnellster Zug der Welt zu verteidigen. Dafür war ihm alles recht. Aber in diesem Jahr tauchte mit einem atemberaubenden Auftritt eine neue Art der Fortbewegung auf. Elektra und seine Components fuhren auf dem Bahnhof ein und die Kraft der Elektrizität wurde zu einem harten Konkurrenten für die anderen Teilnehmer, selbst für Greaseball. Auch wenn dieser es nicht zugeben wollte, so wusste er dennoch, dass die E-Lok, ihm den Titel womöglich streitig machen würde. Auch Elektra wollte kein Risiko eingehen und womöglich als Verlierer dastehen. Beide betrogen ihre Gegner im Rennen nach allen Regeln der Kunst. In seiner sturen Gier nach dem Sieg, gab Greaseball Dinah auf verletzende Art den Laufpass, als diese ihn wegen des Betruges zurechtwies. Als Caboose den jungen Speisewagen unter Tränen am Boden liegen sah und Greaseball sie ohne mit der Wimper zu zucken zurückließ, kochte mit einem Mal wieder alles in ihm hoch. Sein wahnsinniges Grinsen kehrte plötzlich zurück und seine Wut auf jede Lok, die ihm über den Weg fuhr war so groß wie nie zuvor. Es war genau wie früher. Eine Lok demütigte einen gutherzigen Waggon und brach ihm das Herz aus eigennützigen Motiven. Caboose erinnerte sich in diesem Moment, was er sich damals selbst geschworen hatte: Wann immer ein wehrloser Wagen von einer Lok entwürdigt wurde, würde er reagieren und der Lok das Leben schwer machen. Nie wieder sollte ein Wagen so wie Cassey enden. Nicht, wenn er es verhindern konnte.
Taktisch ging Caboose diesmal gegen alle Loks der Vorentscheidungsrennen und vor allem gegen Greaseball und Elektra vor. Den beiden großen Favoriten des finalen Rennens gaukelte er den freundlichen Verbündeten vor und versprach, die ungeliebten Gegner aus dem Rennen zu ziehen. Hashamoto, der Japaner, Turnov der Russe und auch Rusty fielen ihm dabei zum Opfer. Doch im letzten Rennen verstrickte sich Caboose zu sehr selbst in seinen eigenen Intrigen. Denn nur einer der drei Finalisten konnte der Sieger werden. Sowohl Greaseball, als auch Elektra glaubten Caboose auf ihrer Seite und so stand der Bremswagen plötzlich zwischen zwei Stühlen, unentschlossen wie er seinen Plan weiter fortsetzen sollte. Diese verzwickte Lage führte schließlich zu dem katastrophalen Unfall in der Tunnelbiegung kurz vor dem Ziel. Rusty gewann das Rennen. Greaseball, Elektra und Caboose trugen schwere Schäden davon und mussten sich geschlagen geben. Caboose’s Vorhaben, die beiden selbstherrlichen Loks von ihrem hohen Ross zu stoßen und selbst dabei wie damals bei Stardust der Überlegene zu bleiben, war fehlgeschlagen. Aber eines hatte er geschafft. Die beiden starken Loks hatten vor den anderen ihr Gesicht verloren und Greaseball erkannte sogar sein Fehlverhalten gegenüber Dinah an. Der Speisewagen konnte ihre geliebte Diesellok wieder in die Arme schließen und er bat sie sogar um Verzeihung. Dinah’s glückliches Lächeln war ein wärmender Anblick, wenn auch gleichzeitig bedrückend für Caboose. Denn dieses Ende hätte er sich schon früher gewünscht. Hätte Stardust damals dieselbe Einsicht gezeigt, wer weiß, vielleicht wäre er noch in seiner alten Heimat... und vielleicht wäre Cassey sogar noch am Leben.

~*~

In der nächsten Nacht, nach dem großen Rennen fuhr Caboose hinauf auf die große, schwebende Brücke und blickte in die Sterne. Wie immer, wenn ihn der Alltag bedrückte und ihm die Probleme zuviel wurden, sprach er zu Cassey. Antworten konnte sie ihm nicht und sie würde auch nie zurückkehren können. Aber er war sich sicher, dass sie ihn hörte. Er bewahrte sie in seinem Herzen und solange es schlug, würde sie weiterleben.


~*~ Ende~*~

Verena Buhlert
Begonnen: 3.Dezember 2003
18:21 Uhr
Beendet: 14. Dezember 2003 (3. Advent)
14.24 Uhr

*****************
Erde, Wasser, Luft, Feuer...
Sieh, der Dampf steigt höher..!

 Sprung  
Xobor Ein Kostenloses Forum von Xobor.de
Einfach ein Forum erstellen
Datenschutz